Sterbehilfe – Selbstbestimmt sterben? – dürfen wir nicht

Sterbehilfe in Europa

Die Debatte um die Sterbebegleitung nimmt wieder einmal an Fahrt auf. Da erlaube ich mir als Sterbebegleiter und Bestatter Stellung zu beziehen. Doch zuerst die letzten Neuigkeiten zum Thema.

Sterbehilfe in Deutschland

Zuerst blicken wir zu unseren Nachbarn. In Köln laufen derzeit mehrere Klagen Schwerstkranker auf die Herausgabe eines Betäubungsmittels zur Selbsttötung. Das Bundesverwaltungsgericht machte schließlich den Weg frei und bewilligte in Extremfällen besagtes Betäubungsmittel. Doch trotz eines Richterspruches lehnte das Amt weiterhin die Verschreibung ab. Dazu führte eine Order des Gesundheitsministeriums, das sich gegen die Kölner Bundesrichter stellte. Nun wanderte die Causa zum Höchstgericht nach Karlsruhe.

Komentar Robert Roßbruch (VP Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben): „Wir haben ein Recht zu entscheiden, wie wir leben wollen und wir haben ein Recht zu entscheiden, wie wir sterben wollen.“

Sterbehilfe in Schweiz

Unsere anderen Nachbarn aus der Schweiz sind da schon etwas weiter. Dort geht es nicht um Sterbehilfe. Diese ist längst erlaubt, sofern der jeweilige Patient geschäftsfähig ist und sich selbst in der Lage befindet, mittels Einnahme eines Medikaments das Ende seines Lebens herbeizuführen. In der Schweiz wird derzeit über aktive Sterbehilfe diskutiert. Das würde heißen, dass auch Patienten, die nicht in der Lage sind das Medikament einzunehmen, Hilfe von Außen beantragen könnten. Umfragen zeigen jetzt, dass den Schweizern die gegenwärtige passive Sterbehilfe nicht weit genug geht. 90 Prozent stimmten bei einer Umfrage der meistgelesenen Zeitung 20Minuten für aktive Sterbehilfe.

Kommentar eines Lesers: «Jeder Mensch muss die Möglichkeit haben, psychologisch und professionell begleitet selbst über sein Leben bestimmen zu können. Weder ethische noch religiöse Ansichten Dritter haben innerhalb dieses Entscheids etwas verloren.»

Sterbehilfe in Holland

Nun werfen wir einen Blick nach Holland. Dort ist die aktive Sterbehilfe auf Verlangen bereits seit 2002 erlaubt. Selbst durch eine Bestätigung z.B. Handzeichen. 2018 wurde ein Präzedenzfall geschaffen. Die niederländische Staatsanwaltschaft entschied zu Gunsten eines Arztes, dessen Patientin Ihren Willen zur Sterbehilfe durch Handzeichen bekundete.

Auch das Volk ist dafür. In einer jüngsten Umfrage in den Niederlanden ergab sich Außergewöhnliches. Denn es wurde bei der Befragung die Konfession miteinbezogen. Demnach sind 90 Prozent der Katholiken für aktive Sterbehilfe. Gefolgt von 70 Prozent bei den Protestanten und 40 bei Moslems.

Die Situation der Sterbehilfe in Österreich

Selbstbestimmung kommt bei unseren Obrigkeiten nicht gut an. Und das setzt sich auch in der Bevölkerung fort. Dazu möchte ich eine Geschichte erzählen, die ich selbst erlebt habe. Eines Tages läutete im Büro das Telefon. Es meldete sich eine Dame und meinte, die Urne mit Ihrer Tochter sei zu uns unterwegs. Sie klärte mich auf, dass ihre Tochter unheilbar krank war und sich für den Freitod in der Schweiz entschied. Die Tochter hatte wohl einige Monate davor Kontakt mit Lichtblick aufgenommen, allerdings ohne sich zu outen. Sie bereitete nicht nur ihren Tod, sondern auch ihren Abschied vor.

Das Gespräch mit den Eltern machte mich fassungslos. Die Tochter hatte nach mehreren Fehldiagnosen und Operationen, bei denen Ärztefehler wohl eine Rolle spielten keine Aussicht auf ein schmerzfreies Leben. Wir sprechen von extremen Nervenschmerzen, die palliativmedizinisch nur zum Teil beherrschbar sind. Durch die Entnahme mehrerer Organe wurde das Leben unerträglich.

In der Schweiz wird der Umgang mit Ausländern klar geregelt. Der Patient muss selbstständig anreisen und einen Tag vor der Selbsttötung nochmals schriftlich zustimmen. Und diesen Weg musste die schwerkranke Frau selbst und ganz alleine antreten. Würden die Eltern oder Freunde sie begleiten, machen sich diese hierzulande der Beihilfe mitschuldig.

Die Urne langte also mit einem Brief bei mir ein. Darin war der Ablauf der Verabschiedung geregelt. Im Umschlag steckte auch eine selbst erstellte Traueranzeige, sowie konkrete Anweisungen für mich.

Das war meine erste Berührung mit Sterbebegleitung und es war für mich eine positive Erfahrung. Unsere Gesetzeslage verstand ich damals schon nicht. Anlass für diesen Artikel ist nun das Statement des Ärztekammerpräsidenten, der sich gegen jede Form der Sterbehilfe aussprach. Und das auf dem Jahressymposiums des „Instituts für medizinische Anthropologie und Bioethik“ (IMABE). Das Institut beschäftigt sich im Auftrag der Österreichischen Bischofskonferenz mit medizinethischen Fragen.

Dabei argumentiert er sehr einseitig, ohne auf die Wünsche Todkranker einzugehen. Er spricht von der Pflicht der Ärzte zu heilen und zu helfen. Es sei keine Option Menschen zum Tode zu befördern. Wir hätten in Österreich eben andere Werte als in anderen Ländern.

Hier nun mein Kommentar: Diese Argumentation ist nicht nur einseitig, sondern verallgemeinernd. Wer ist in dieser Debatte „Wir“? Es entspricht nicht meinen Werten, Menschen die sich aufgrund endlosen körperlichen Leidens für ein selbstbestimmtes Ende entscheiden, zu bevormunden. Weder ich noch der Herr Ärztekammerpräsident befindet sich in der Situation der Betroffenen. Allerdings habe ich dem Chef der Ärztekammer eines Voraus. Erfahrung! Ich sitze oft am Bett schwerst kranker Menschen. Keine Frage, diese werden in unserem Land von erstklassigen Schmerzmedizinern begleitet und wahrhaft liebevoll umsorgt. Doch ich empfehle dem ÄK Präsidenten regelmäßige Gespräche mit Betroffenen. Und wenn er es schafft, sich in deren Situation zu versetzen, dann wird er das mit dem „Wir“ möglicherweise nochmals überdenken.

Von welchen Werten spricht er überhaupt? Von denen, die sich längst als Gegner einer Liberalisierung in Stellung gebracht haben? Da wäre einmal die ÖVP, die jede Diskussion um Sterbehilfe im Keim ersticken möchte. Und dann wäre da noch die Katholische Kirche, die in unserem Land über erheblichen Einfluss auf die Politik verfügt und ausschließlich mit religiösen Phrasen argumentiert, mit Erfolg.

Es muss doch möglich sein, sich zu diesem Thema in einen breiten Diskurs zu begeben. Schließlich sprechen wir von einem Thema, dass absolut jeden Menschen in unserem Lande betrifft. Wir werden alle irgendwann das zeitliche segnen. Und viele von uns werden vorher körperliches Leid erfahren. Die Betroffenen sollten das Recht haben, selbstbestimmt eine Entscheidung treffen zu können. Und diejenigen die sich für den Weg des Suizids entscheiden, denen sollte professionelle Hilfe zur Verfügung stehen.

Abschließend möchte ich noch eine ganz andere Geschichte aus dem Hospiz erzählen. Ich habe da eine Freundin, die bereits seit 8 Jahren in einem Hospiz lebt. Ja auch so etwas gibt es. Sie ist vom Kopf abwärts durch einen Gehirnschlag so gut wie bewegungsunfähig. Schon immer hatte ich das Gefühl, sie wäre ein sehr zufriedener Mensch. Sie erzählte mir lange Geschichten und ich las ihr einige tolle Bücher vor.

Zwischen meinem letzten Besuch und dem vor einer Woche vergingen Monate. Als ich ankam, busselten wir uns ab und ich bemerkte, dass sie ihre Trinkkanne selbst vom Tablett nehmen konnte. Das war vor einigen Monaten noch nicht möglich. Auch sonst schien es ihr ganz gut zu gehen. Dann sah sie mich an und sagte plötzlich, „Jörg, ich bin so glücklich“. Ich blickte in ihre strahlenden Augen und freute mich mit ihr. Sie erzählte mir erstmals von ihrer Erkrankung und ich erfuhr, dass es sich um ein vererbtes Aneurysma handelte, an dem ihre Eltern verstarben, sie es jedoch überlebte. Sie ist einfach so dankbar am Leben zu sein. Und Ihre jetzigen körperlichen Einschränkungen verschafften ihr Zeit, die sie früher nicht hatte. Für Gespräche, Fernsehen oder ein gutes Buch.

Ich erzähle diese Geschichte deshalb, weil ich entschärfen möchte. Wir haben allesamt verschiedene Sichtweisen. Eigentlich leben wir in verschiedenen Welten. Das was die einen als Leid sehen, sehen andere als Chance. Aber eben weil wir so verschieden sind, bin ich entschieden gegen jede Form der Verallgemeinerung. Die Werte des einen müssen nicht die Werte des anderen sein. Natürlich gibt es Regeln in unserer Gesellschaft um ein Zusammenleben so vieler Individuen möglich zu machen. Diese Regeln müssen ausgewogen und gut durchdacht sein. Jedoch darf es nicht sein, dass einzelne Interessenvertretungen Meinungen für alle bilden. Der ÄK Präsident kann gerne seine Meinung kund tun. Doch wenn er seine Stellung benutzt um uns seinen Willen aufzuzwingen, dann ist dem entschieden entgegen zu treten. Er sollte lieber eine Volksbefragung befürworten, um sich ein Stimmungsbild machen zu können. Denn es ist wahrscheinlich, dass dieses nicht dem seinen entspricht.

Deshalb ist einem Ausbau des Hospizwesens in vollem Umfang zuzustimmen. Denn nicht alle Menschen mit einem schweren körperlichen Leiden möchten ihrem Leben ein Ende setzen.

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